Jeder Tod hat eine Ursache
Die Ausstellung "Vom Tatort ins Labor - Rechtsmediziner decken auf " im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin
Die Ausstellung "Vom Tatort ins Labor - Rechtsmediziner decken auf " im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin
Manchmal ist im deutschen Fernsehen die Pathologie in ein leicht grünliches Licht getaucht, oder sie schimmert bläulich-kalt, halb stummes Aquarium, halb Kühlschrank des Todes, in dem die Leichen daliegen wie auf Altären, als seien sie noch gar nicht ganz tot und hätten irgendeinen grausamen Ritus der Opferung noch vor sich. Auch dort, wo dieses Totenreich samt seiner Priester, wie im Münsteraner "Tatort", über aus selbstironisch inszeniert ist und die zwergwüchsige Pathologin Alberich heißt, ist es der Ort einer letztinstanzlichen, nicht mehr anfechtbaren Wahrheit. Hier geben die Körper ihre verborgensten Geheimnisse preis, und das Wissen, das hier hervorgebracht und gehütet wird, ist die gefährlichste Waffe, der sich in neueren Krimiserien die Täter gegenübersehen.
Amerikanische Serien wie "CSI" und ihre deutschen Ableger wie "Post mortem" oder "Die Gerichtsmedizinerin" haben in ihrer Dramaturgie die Ermittler, die ein Verbrechen aufklären, und die Pathologen und Gerichtsmediziner, die die Leichen der Opfer in die aussagestärksten Tatzeugen verwandeln, die es je gegeben hat, immer stärker, bis hin zur Verschmelzung einander angenähert. Dieser Verschmelzung trat bei der Eröffnung der Ausstellung "Vom Tatort ins Labor - Rechtsmediziner decken auf" im Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Michael Tsokos, energisch entgegen.
Wir sind, sagte er, keine Polizeibeamte und keineswegs als Ermittler tätig. Wir klingeln nicht an den Türen von Angehörigen Verstorbener, um sie auszufragen, und die Technik, mit der wir DNA-Analysen erstellen, passt weder in einen Laptop noch können wir komplexe Obduktionsbefunde in 45 Minuten auswerten. Auch sind wir keine Einzeltäter, die in leeren Räumen allein an Leichen hantieren, unsere Sektionen sind Teamarbeit, wir produzieren unser Wissen kollektiv, als Mediziner, Biochemiker oder Biologen, und wir befassen uns durchaus nicht nur mit den Toten, sondern auch mit den Lebenden: wir erstellen Altersgutachten, Vaterschafts- und Abstammungsnachweise, unsere Toxikologen erstellen gerichtsverwertbare Haaranalysen zum Nachweis von Drogen oder Alkoholkonsum.
Die Identifizierung von Pathologen und Rechtsmedizinern, ergänzt Thomas Schnalke, der Leiter des medizinhistorischen Museums, ist ein populärer Irrtum. Zwar nahm zu den Zeiten Rudolf Virchows, der den Vorläufer dieses Museums gründete, die Pathologie, der damalige Star der modernen Medizin, die Rechtsmedizin in sich auf und Virchow verfasste 1867 seine Sektionsanleitung ausdrücklich "mit besonderer Rücksicht auf die gerichtsärztliche Praxis". Aber heute sind beide getrennte Disziplinen: im Zentrum der Pathologie steht die Identifizierung der Krankheiten, die Menschen unter natürlichen Bedingungen das Leben kosten. Die Rechtsmedizin fahndet nach den "unnatürlichen Todesursachen", worunter nicht nur Tötungsdelikte zu verstehen sind, sondern auch Unfälle, Selbstmorde und unklare Todesfälle nach Bagatelloperationen.
In ihrem Gehalt wie in ihren Präsentationsformen ist die überaus informative Ausstellung vom Motiv bestimmt, den wissenschaftlichen Alltag der Gerichtsmedizin gegenüber den populären Mythen in Literatur und Film zur Geltung zu bringen. Sie hat sich einen weißen Arztkittel umgeworfen, so wie hier herrscht die moderne Abstraktionsfarbe Weiß kaum noch in den Kunstmuseen über Wände und Vitrinen. Wie in den Tableaus der Enzyklopädie Diderots und d'Alemberts sind die Tatwerkzeuge nach Typen arrangiert: Schlagringe, Baseballschläger, Stichwaffen, Schusswaffen, dazu Allerweltsgegenstände wie Bierkrüge, Aschenbecher, Gürtel.
Axt und Baseballschläger
Sogleich fällt ein Tatbestand ins Auge: die Tötungsarten auch des frühen 21. Jahrhunderts sind hierzulande offenkundig den archaischen Techniken näher als wir, wenn wir aus hochgerüsteten, elektronisch ausgetüftelten Thrillern kommen, zu glauben geneigt sind. Mit weitem Abstand führen nach wie vor die Stichwaffen: fast 50 Prozent aller schweren Gewaltverbrechen werden mit Messern, nur 10 Prozent mit Schusswaffen ausgeführt. Der Baseballschläger ist der Axt an die Seite getreten, zusammen umspannen sie Jahrhunderte.
Im ersten Raum der Ausstellung ist ein Tatort hyperrealistisch nachgebaut. Eine alte Frau ist bei einem Raubmord mit einem Kerzenständer erschlagen worden. Die Schubladen sind aufgerissen, die Blutspritzer an der Wand markiert, auf einem Untersuchungskoffer liegen Messgeräte, das Ganze ist mit dem bekannten rotweißen Band der Polizei abgesperrt. Sieht so ein Tatort anno 2008 oder 2009 aus, mit einem schwarzem, wuchtigen Telefon, mit Möbeln, Tapeten und Bildern, die aussehen wie Zitate aus längst vergangenen Jahrzehnten? Ja, sagt der Rechtsmediziner, überraschend viele Wohnungen, in die wir kommen, sehen so alt aus.
Gezeigt wird in dieser Sequenz der Zustand des Tatorts, nachdem ihn die Rechtsmediziner besucht haben, sodann, um einen leeren Seziertisch herum, ihre Arbeit im Labor, die Requisiten einer Obduktion, die Proben chemischer Analysen. Wer es verträgt, kann sich die betont sachlichen, schwarzweißen Dokumentaraufnahmen des Fotografen Patrik Budenz anschauen, die den Weg eines Toten vom Aufgefundenwerden am Tatort über die innere Leichenschau mit Öffnung von Brustkorb, Bauchhöhle und Kopf bis hin zur Einsargung verfolgen.
Der in einen Datenspeicher verwandelte Tatort einschließlich des Opfers, das Labor und schließlich das Gericht, in dem der Mediziner seine Erkenntnisse darlegt - sie sind der dreigeteilte Arbeitsplatz der Rechtsmedizin. Die Ausstellung zeigt nicht deren gesamtes Arbeitsfeld: bewusst ausgespart sind zwei Großthemen: die Fälle, in denen es um tote Kinder geht, sowie der gesamte Bereich der Tötungen von Patienten in Alten- und Pflegeheimen. Das ist verständlich. Denn die betont sachliche Präsentationsform lehrt nicht zuletzt, dass sich Gruselkabinette womöglich leichter betrachten lassen als wissenschaftlich gesicherte Spuren des wirklichen Todes. Es ist aber hier wie dort die Neugier, die über Hemmschwellen hinweghilft.
Zur visuellen Dokumentationsfläche verwandelt, ist in die Sequenz zu den Todesursachen der Seziertisch hineinzitiert. In der Sprache der medizinischen Kasuistik und ihrer Fotografien werden hier konkrete Einzelfälle des Erhängens, Erschießens, Ertrinkens, Vergiftens, Verbrennen, des Überfahrens oder Erstechens nachgezeichnet. Wer diese Seziertische und die ihnen zugeordneten Vitrinen aufmerksam betrachtet, der erfährt, dass das Medizinhistorische Museum als Bild- und Textmedium bei der Prägung der Vorstellungskraft für den Tod durchaus mit den elektronischen Medien konkurrieren kann.
LOTHAR MÜLLER
Vom Tatort ins Labor - Rechtsmediziner decken auf. Bis 13. September. Berliner Medizinhistorisches Institut der Charité, Charitéplatz 1, 10117 Berlin. Info: 030/ 450 573 069. Der Katalog kostet 17 Euro.
Di. bis So. 10-17 Uhr, Mi. und Sa. 10-19 Uhr, Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen