Montag, 22. November 2010

Entzauberte Wirklichkeit

Harry Potter - Der verfilmte erste Teil des letzten Bandes kürzt den Hokuspokus und schärft dieCharaktere

W as in "Harry Potter und der Stein der Weisen" 2000 noch als kindgerechtes,verspieltes Abenteuer begann, ist sieben Filme und zehn Jahre später zur veritablen Tragödie geworden: Der Sturz von Harrys Mentor Albus Dumbledore inden Tod, das dramatische Finale des sechsten Teils, taucht nun in der Verfilmung von Joanne K. Rowlings "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes"zu Beginn als Erinnerungsbild wiederauf: Dumbledore, der für seinen Schüler Harry Potter und dessen Freunde Hermine Granger und Ron Weasley bis herein Garant dafür war, dass trotz aller Gefährdungen durch den bösartigen Lord Voldemort das Gute letztlich doch die Oberhand behalten muss, ist den dunklen Mächten zum Opfer gefallen. Er hinterlässt drei Jugendliche, die zwar wissen, welche Aufgabe sie erfüllen müssen, um Voldemort zu entmachten,die aber keine Ahnung haben, wie sie diese Aufgabe meistern sollen. Und die für ihren Widerstand gegen Voldemorts totalitäre Machtbestrebungen einenhohen Preis zahlen müssen. Der Film beginnt mit Familienszenen, die illustrieren, wie sehr die Normalität für die Freunde aus den Fugen geratenist: Harrys Verwandte ergreifen dieFlucht; Ron und seine Familie müssenjederzeit mit Attacken von VoldemortsAnhängern rechnen, und Hermine Granger belegt ihre Eltern mit einem "Obliviate"-Zauber, der ihr Gedächtnis manipuliert: Die Kamera zeigt, wie Hermines Abbild aus den Familienfotos in derWohnung der Grangers verschwindet,als hätten ihre Eltern nie eine Tochter gehabt.Für Zuschauer, die die Bücher vonJoanne K. Rowling nicht gelesen haben, mag dies - wie noch manche andere Facette der Verfilmung - kryptisch bleiben;die "Potter"-Fans, also die eigentliche Zielgruppe, werden jedoch den Schmerz der jungen Zauberin lebhaftnachvollziehen können, die sich dagerade selbst aus dem Leben und der Erinnerung ihrer Eltern auslöscht, damitdiese England verlassen, sich weit weg eine ganz neue Existenz aufbauen und somit sicher sind vor der Rache des dunklen Lords. Denn mit Voldemorts Rache muss Hermine rechnen: Sowohl sie als auch Ronwollen sich dem Terrorregime des dunklen Lords nicht beugen, sondern Harry dabei helfen, die einzige Missionzu erfüllen, durch die Voldemort besiegtwerden könnte: Sie wollen die Horkruxe finden und vernichten, verborgene magische Gegenstände, die Voldemort quasi unbesiegbar machen. Doch wo sind die Horkruxe versteckt, und wiekann man sie zerstören? Die Suche nacheiner Lösung gestaltet sich für die dreiTeenager bald als frustrierend zielloseOdyssee. Dabei sind ihnen die Schergen Voldemorts und des Zaubereiministeriums,das dieser unter seine Kontrollebringt, immer dicht auf den Fersen. Die Entscheidung, die Verfilmung desletzten Bandes der "Potter"-Romane aufzwei Filme zu dehnen, mag zunächstverdächtig nach dem Kalkül von Produzentenund Verleihern klingen, die eineeinträgliche Kuh noch nicht schlachten, sondern mehrfach melken wollen. Sie erweist sich aber als erzählerischer Glücksgriff, von dem auch das Publikumprofitiert: Während man bei der Verfilmung von "Harry Potter und derHalbblutprinz" gegen Ende fast den Eindruckhatte, dass den Machern die Zeit fortlief, weil der filmische Showdowndas dramatische Potenzial der Buchvorlage förmlich verschenkte, haben Drehbuchautor Steve Kloves und Regisseur David Yates diesmal genug Freiraum, um die Geschichte ohne Hektik zu entwickeln.Erfreulich ist, dass sie diesen Freiraum nicht nur nutzen, um noch mehr Actionund noch mehr Effekte-Gewitter auf die Zuschauer loszulassen, sondern vorallem, um die Figuren und die zwischenmenschliche Dynamik zwischenden Charakteren gebührend auszuloten. Das gilt für treffend umrissene Nebenfiguren- wie etwa den erstmals eingeführten, von Rhys Ifans verkörpertenZeitungsverleger Xenophilius Lovegood-, vor allem aber für die dreijugendlichen Hauptfiguren. So finden Kloves und Yates immer wiederruhige, aber intensive Szenen, umdeutlich zu machen, wie prekär und fragil das emotionale Gleichgewicht zwischenHarry, Hermine und Ron nichtnur durch die Strapazen während ihrer Suchwanderung wird, sondern auch dadurch, dass sich mit dem Erwachsenwerden komplizierte Gefühle, positive wie negative, in die Beziehung des Triosgemischt und aufgestaut haben, die nun ausgerechnet in der Zeit höchster Notdie Stabilität der Freundschaft gefährden. Dass diesmal die Zaubererschule Hogwartsals Handlungsrahmen wegfällt und die Freunde stattdessen einer Reiseausgesetzt werden, bringt insofern nicht nur eine räumliche, sondern auch eine emotionale Dynamik mit sich. Gleichzeitigrückt das Fantasy-Abenteuernäher an die wirkliche Welt: durch die stärkere Einbeziehung "nichtmagischer" Schauplätze, vor allem aber dadurch, dass mit Voldemorts Macht übernahme das "Böse" nicht mehr nur als etwas Magisch-Numinoses erscheint, sondern sich ganz konkret als totalitäres System manifestiert. Natürlich gibt es auch nochdie spektakulären Spannungssequenzen, in denen Harry, Ron und Hermine sichmit gezückten Zauberstäben gegen Flücheund Monster zur Wehr setzen müssen. Die jungen Helden müssen sich überdies mit dem gar nicht so übersinnlichen Schreckbild eines totalitären Machtapparats auseinandersetzen, der sich die Unterdrückung als minderwertig gebrandmarkter Menschen - aller, dienicht "reinblütige" Zauberer sind - auf die Fahnen geschrieben hat. Der Humor, den frühere "Potter"-Teile entfalteten und der oft mit der Lust am magischen Inventar der Zauberer-Welt verbunden war, bleibt angesichts dieser Entwicklungen konsequenterweise weitgehen dauf der Strecke, flackert nur kurz auf, und dann oft als Galgenhumor.Dafür bekommen selbst Figuren wie die Hauselfen mehr "menschliches" Format (was sich auch in der erhöhten Sorgfaltniederschlägt, mit der ihre Mimik animiertwurde). Der ergreifende Tod eines Elfen, ein Romanhöhepunkt, setzt dennauch dramaturgisch stimmig die Zäsur, mit der der erste Teil des "Potter"-Finale sendet. Bleibt zu hoffen, dass diese filmische Herangehensweise auch im zweiten Teil konsequent fortgeführt wird. Teil einsder "Heiligtümer des Todes" ist mit dieser Rezeptur jedenfalls zum bisher stärksten Teil der "Harry Potter"-Filmreihe geworden.

Source: Rheinischer Merkur, 18.11. 2010

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